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Dauermüde? – Wenn ausspannen nicht mehr reicht

Dauermüde - Wenn ausspannen nicht mehr reicht

Müdigkeit, Abgeschlagenheit, Erschöpfung, wer kennt das nicht?

Vor allem dann, wenn wir zu wenig geschlafen haben, körperlich aktiv waren, oder uns etwas psychisch sehr belastet. Es handelt sich also um eine natürliche Reaktion unseres Körpers, die uns signalisiert, dass wir zu „hochtourig“ unterwegs waren.

Wann aber hat Erschöpfung Krankheitswert?

Dann, wenn  sich trotz angemessener Erholungsphase keine Besserung der Symptomatik einstellt, die Beschwerden bereits nach leichter körperlicher und geistiger Tätigkeit auftreten, bzw. über Monate anhalten.

Laut epidemiologischer Studien leiden zwischen 7 und  15% der Bevölkerung unter chronischer Müdigkeit = Fatigue, wobei nur ein geringer Prozentsatz tatsächlich auch die CDC-Kriterien(Center for Disease Control, USA) eines chronischen Erschöpfungssyndroms (=Chronic Fatigue Syndrome,CFS) erfüllt:

  • neu aufgetretene, nicht erklärbare Erschöpfungszustände, dich sich auch durch Ruhephasen nicht bessern (sog. postexertional malaise oder S.E.I.D. = Systemic Exertion Intolerance Disease) und mindestens seit 6 Monaten bestehen
  • deutliche Verringerung der früheren Aktivität
  • kognitive Störungen wie Gedächtnis-, und Konzentrationsstörungen(„brain fog“)
  • Kopf-, Muskel-, und Gelenksschmerzen ohne Schwellung und Rötung
  • Rezidivierende Halsschmerzen, schmerzhafte Lymphknoten
  • nicht erholsamer Schlaf, sowie eine
  • orthostatische Intoleranz(=Unfähigkeit, den Körper über eine längere Zeit hinweg aufrecht zu halten)

Die CFS-Selbsthilfeorganisation Fatigatio spricht derzeit von zirka 300.000 Erkrankten in Deutschland. Laut Schätzungen aus den USA und Großbritannien sollen etwa 3 von 1000 Menschen betroffen sein, wobei infolge der komplizierten Diagnosestellung von einer hohen Dunkelziffer auszugehen ist. Aus ökonomischer Sicht, wird CFS zunehmend  zu einem Problem, da die Patienten zum Teil nicht mehr aus dem Bett kommen und somit arbeitsunfähig sind.

Die genaue Ursache der Erkrankung ist bislang nicht geklärt und sorgt in Fachkreisen nach wie vor für Diskussionen. In einem  2011 erschienenen Artikel wird CFS als  Multisystemerkrankung beschrieben, die sowohl das Nervensystems, das Immunsystems und den zellulären Energiestoffwechsel betrifft.

Uneinig ist man sich auch hinsichtlich gewisser „Risikofaktoren“, die das Auftreten eines CFS begünstigen können, wie Serotoninmangel, frühere seelische Traumatisierungen, oder stressbedingte Erkrankungen.

Studien ergaben, dass auch Infektionen, vor allem eine, erst im Erwachsenenalter auftretende Infektion mit dem Epstein Barr Virus (EBV-Pfeiffer´sches Drüsenfieber) CFS triggern können.

Der Weg zur Diagnose stellt eine enorme Herausforderung dar und bedarf einer Menge Geduld, denn CFS ist eine Ausschlussdiagnose!

Das heißt, dass zunächst eine Reihe internistischer, sowie neurologisch/psychiatrischer Erkrankungen ausgeschlossen werden müssen, die Fatigue als Begleitsymptom aufweisen können. Dazu zählen zum Beispiel: rheumatoide Arthritis, Multiple Sklerose (MS), Reizdarmsyndrom, Fibromyalgie, Burnout, somatoforme Störungen, Depression (wichtige Differentialdiagnose v.a. bei schleichendem Beginn!) und Angststörungen, sowie Anämien, Schilddrüsenerkrankungen (Hashimoto-Thyreoiditis), aber auch Herz,- und Lebererkrankungen, Adipositas (Übergewicht), Mangel an Vitaminen/Spurenelementen, Schlaf-Apnoe-Syndrom, Medikamenteneinnahme, Tumorerkrankungen, aber auch  Alkohol,- und Drogenmissbrauch, um nur einige zu nennen (siehe ÖGAM/DEGAM-Leitlinien „Müdigkeit“).

CFS  wird also nach wie vor NUR anhand der klinischen Symptomatik diagnostiziert, denn bislang konnte noch kein spezifischer Biomarker erfasst werden (siehe „Fukuda Kriterien“, 1994; „kanadische Konsensuskriterien“, 2013). Ron Davis und sein Team am Stanford Genome Technology Center suchen derzeit akribisch danach.

Ebenso komplex, wie die Diagnosestellung, gestaltet sich auch die Therapie, denn aufgrund der Vielschichtigkeit der Erkrankung, gibt es keine „State of the Art“- Therapie. Vorrangig in der CFS- Therapie ist und bleibt demnach das individuelle „Symptom-Management“.

Eine signifikante Besserung der Symptomatik zeigte zum Beispiel die Gabe von Magnesium 2+ (Cox et al. 1991, Lancet 337; 757-760). Dies lässt sich dadurch erklären, dass die Funktion von Gehirn, Herz-, und Skelettmuskulatur, aber auch der Leber und des Immunsystems stark magnesiumabhängig sind.

Immunglobuline und Folsäure-Vitamin-B12-Präparate schnitten in Studien nicht besser ab, als ein Placebo.

Geteilte Meinungen bestehen auch, bezüglich des Einsatzes von aktivierenden Antidepressiva (SSRI, SNRI) – empfohlen wir die Einnahme derzeit nur bei entsprechenden Begleiterkrankungen (Komorbiditäten).

In Norwegen wird bereits seit längerem der Einsatz von Rituximab, einem künstlich hergestellten Antikörper (findet ursprünglich in der Krebsimmuntherapie seinen Einsatz) bei CFS erforscht. Die finalen Ergebnisse sind allerdings noch ausständig.

Neben der symptomorientierten Therapie gilt es die Balance zwischen Leistungsfähigkeit und Entspannung wieder herzustellen. Wichtig für die Betroffenen ist es, zu erkennen, dass sie trotz Erschöpfung etwas leisten können. Ein stufenweiser Aktivitätsaufbau mit anfangs nur kurzen aktiven Einheiten (max. 30 Minuten) wird empfohlen. Ziel ist es, immer ein bisschen über den Erschöpfungspunkt zu gehen. Das Führen eines Aktivitäts-Tagebuchs erleichtert das  Planen gezielter Ruhephasen. Eine begleitende Psychotherapie festigt und beschleunigt den Genesungsprozess.

Holen Sie sich unbedingt Unterstützung von außen- eine vertrauensvolle, auf Wertschätzung und Respekt basierende Arzt-Patienten-Beziehung, ist das Um und Auf für eine erfolgreiche Therapie. Vor allem die Chronizität der Erkrankung, aber auch die fehlende Objektivierbarkeit der Beschwerden und die damit verbundenen psychischen und sozialen Belastungen, machen den Betroffenen besonders schwer zu schaffen. Gerade dann, sollte jemand an Ihrer Seite sein, der Sie und Ihre Beschwerden ernst nimmt.

Als besonders wichtig erscheint mir gerade hier die Förderung einer biopsychosozialen Sichtweise auf die Krankheitsentstehung und deren Verlauf, damit Betroffene nicht jedes Mal wieder einen organischen Abklärungsexzess über sich ergehen lassen müssen.

 

References:

Scheibenbogen, C., Volk, H.-D., Grabowski, P., Wittke, K., Gianinni, C., Hoffmeister, B.,& Hanitsch, L.,: „Chronic Fatigue Syndrome. Current concepts in pathogenesis, diagnostic approaches and treatment“ (2014)

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Klimas, NG, Koneru AO.: „Chronic fatigue syndrome: inflammation, immune function, and neuroendocrine interactions“. Curr Rheumatol Rep (2007); 9: 482–487.

Myhill S, Booth NE, McLaren-Howard J.: „Chronic fatigue syndrome and mitochondrial dysfunction“. Int J Clin Exp Med (2009); 2: 1–16.

Zeineh, M.M et al.: „Right Arcuate Fasciculus Abnormality in CFS“,  Radiology 274,S.517- 526, fig.3 (Ausschnitt),(2014);

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Kalkman JS, et al.: „Gray matter volume reduction in chronic fatigue syndrome“, NeuroImage (2005); 26: 777-781. [PMID: 15955487]

Øystein Fluge, Olav Dahl, Karl J. Tronstad: „Metabolic profiling indicates impaired pyruvate dehydrogenase function in myalgic encephalopathy/chronic fatigue syndrome“, JCI Insight. (2017);1(21):e89376. doi:10.1172/jci.insight.89376 (2017)